Schnäbelchen , der kleine Mauersegler, der nicht zirpeln wollte

Samstag, der 30.Juli 2006

schellte gegen 14.00 bei mir das Telefon. Nichtsahnend nahm ich den Hörer ab: Meine Stellvertreterin Frau Kiefer war am Apparat. Sie sprach etwas langsam, zögerlich und wollte nicht so recht mit der Sprache herausrücken. Als ich schon ungeduldig zu werden begann, meinte sie: "Wir waren heute unten an der Donau, so Richtung Donaumarkt bzw. mehr zum Architekturbüro von Herrn Dotter hin. Da standen eine Menge Leute und diskutierten. Und als wir uns neugierig näherten, da sahen wir einen Amerikaner, der einen kleinen Vogel in der Hand hielt". Sie machte eine Kunstpause und mir schwante schon nichts Gutes. Frau Kiefer setzte ihre Rede fort und meinte dann knapp und bündig: "Und was meinst Du was das für ein Vogel war?" Na, da konnte ich wohl nur noch "ein Mauersegler" sagen. Ich fügte allerdings nicht ladylike hinzu: "Bist du wahnsinnig? Ich habe mit Findi schon genug zu tun. Jetzt bringst Du mir sicherlich noch einen, oder? Du lieber Himmel, wie soll ich das bei meinen beiden Hunden, dem Papagei und den Nymphensittichen und ihren Genossen noch schaffen alle zwei Stunden deinen Mauersegler aufzuziehen?!".

"Na was soll ich denn anderes machen?" erwiderte sie und schilderte mir den Kleinen so herzzerreißend, dass ich nur meinte: "Na, dann bring' ihn halt her!"

Eine halbe Stunde später war sie schon da und legte mir den Winzling in die Hand. Meine Güte, der sah ja echt kaputt aus: Er regte sich kaum, die Augen waren geschlossen, er lag völlig flach, schnaufte kaum... Ob ich dich durchbringe?

geschlossene Augen
mit geschlossenen Augen
flach danieder liegend
und flach danieder liegend

Zuerst einmal flößte ich ihm etwas Wasser ein. Reaktion: Prompt ein giftgrünes Wasserbatzerl. Der hatte wohl gar nichts zum Fressen gehabt oder was Falsches erwischt. Die Leute werden ihn ja wohl nicht mit Brot gefüttert haben?! Außerdem wackelte er so von links nach rechts und umgekehrt, dass ich befürchten musste, dass er verletzt war.

Da ich schon mit Findy beschäftigt war, rief ich bei meiner früheren Chefin an (sie hatte schon Sirry und Zirpi aufgezogen), in der Hoffnung, dass sie mir wenigstens für ein paar Tage helfen könnte. Na ja, Mauerseglerfreunde unter sich ! Nach einem etwas längeren "Überzeugungsgespräch durfte ich ihn ihr am nächsten Tag bringen.

Sonntag, der 31.Juli , der erste Tag bei der neuen Ziehmutter:

gebogener Schnabel
Der auffallend gebogene Schnabel

Ihr erster Kommentar: "Meine Güte ist der klein, zwar nicht abgemagert wie Findi, aber sehr verschreckt!" Verschreckt deswegen, weil er durch "Geh-Flattern" andauernd versuchte irgendwo eine dunkle Stelle zu finden oder sich zu verkriechen. Außerdem war die Form seines Schnabels im Vergleich zu Findi nach unten gebogen und extrem zierlich anzusehen. Deshalb wurde dieser Mauersegler "Schnäbelchen" getauft.. Mit dem Fressen klappte es auch nicht. Er musste tatsächlich zwanggefüttert werden. Seine Unruhe legte er aber auch mit vollem Magen trotzdem nicht ab.

Montag, der 1.August, der Tagesablauf bei Frau Rowinski

Auch jetzt fraß er nur unter sehr viel Mühe; man musste die Gelegenhit abpassen, wann er gähnte. Sobald der Schnabel sich öffnete, konnte man ihm die kleinen Heimchen reinschieben.

Fütterung
Du musst etwas fressen!
gähnen
Schnäbelchen gähnt
es klappt
Jetzt klappt es
nichts wie weg
Nichts wie weg!

Es waren immerhin 77 Stück. Na hungrig sein konnte er ja nun nicht mehr! Am Abend klappte es schon ein wenig besser mit dem selbständigen Schnabelöffnen. Sein Fluchtverhalten hielt an, wobei seine Fliehversuche mehr einem "Torkeln" glich. Auch wurde mir gemeldet, dass ein Ungeziefer unbekannter Art von seinem Gefieder entfernt werden musste.

Da an Frau Rowinski von nun genaustens Buch führte, ist es vielleicht sehr interessant bei diesem Bericht anstelle einer Geschichte Schnäbelchens Entwicklungsfortschritte anhand einer Tabelle zu verfolgen. So kann man vielleicht Mauerseglerbesonderheiten beim Erwachsenwerden eines Mauerseglers gut verfolgen oder sogar Rückschlüsse über das Verhalten eines in Menschenhand befindlichen Wildvogels bzw. seine Eigenheiten im Verhalten feststellen oder gar erkennen. Dabei wird man in diesem Bericht nur die Gesamtmenge der Heimchen über den ganzen Tag erfahren, nicht aber den Zeitpunkt der Fütterung.. Die genauen Fresszeiten könnten Interessenten über die Schulleitung bei Nachfrage bekommen. Ebenfalls wurde festgehalten, dass bei Schnäbelchen fast jeden Tag entweder eine Laus oder eine - wie wir annehmen- Spinnmilbe entfernt werden musste. Bei Findi war dies nicht der Fall, weil er sich nie kratzte oder ständig juckte. Wenn der Eindruck entstand, er könnte durch die liebevolle Pflege größer geworden sein, dann wurde von Schulter bis Flügelende die augenblickliche Länge abgemessen.

Tag Heimchen Ungeziefer Gewicht besondere Vorkommnisse:
Flattern, Flügelmessung, Laute,Verhalten
2.8. 85 1 Laus 26g Vogel wird ruhiger, flattert etwas mehr
3.8. 76 1 Laus sperrt auf und frisst schon 2 große Heimchen, flattert gleichmäßiger und kräftiger
4.8. 80 2 Läuse zirpelt immer noch nicht wie die anderen MS
5.8. 71 2 Läuse Heuhupfer zugefüttert, Länge 12cm
6.8. 64 je Mahlzeit 4-5 Heuhüpfer; Flattern um 15.00 Uhr, dabei stößt er einmal leise den typischen. Sri-Schrei aus;
7.8. 73 flattert um 15.00 und 22.00 Uhr, reagiert sehr sensibel auf Störungen von außen, verkriecht sich gern oder ruht sich im Nest aus
8.8. 73 Findi wird heute freigelassen! Schnäbelchens Flügel 14cm; Kletterübungen mit Rinde, dabei "Ziep,ziep"; Flattern 16.00 Uhr
Anschubsen
Mit Anschubsen geht's besser!
im Nest
Im Nest ist es am Schönsten!
9.8. 70 34,77g sieht am Morgen Heimchen, beugt sich vor, kippt vor Gier dabei aus dem Nest; Wiegen in der Apotheke der Transport und Wiegen erregen ihn so, dass er danach Nahrung verweigert, dünnen Stuhlgang hat und sich wieder verkriecht; auch am Nachmittag immer noch aus dem Gleichgewicht, putzt sich kaum; abends etwas besseres Verhalten!
Kraulen
Kraulen beruhigt
Lausen
Frauchen sucht unter den Flügeln Läuse
10.8. 76 1Spinn-
milbe
gesehen
unternimmt "Spaziergänge"; Flattern und Stemmübung 9.30; klettert auf Rinde herum; wechselt auf seinem Terrain oft Stelle; frisst gut, flattert 19.30 ausgiebig, ist munterer als sonst;
11.8. 63 frisst 3 Portionen wie gewohnt; die übrigen (großen)Heimchen werden nur mit List und Geduld verfüttert; flattert vormittags 2x kurz, putzt sich öfter, holt 8mm langes Federspelzchen von den noch verspelzten Schwanzfedern; flattert 19.30 ausgiebig.

Zu dieser Zeit bekommt Schnäbelchen eine "Erlebnis-Spielwiese zum Üben seiner Körperkräfte und Flugfähigkeiten. Auf ihr waren zu finden sein Körbchennest (später mit Abflugrampe), die Lappenhöhle, ein Baumrindenversteck und ein Kuschelversteck. Immer wenn Fr. Rowinski kam, flog er aus seinem Nest heraus und begab sich in ein Versteck.. Liebend gern krabbelte er unter die Baumrinde, manchmal auch in den Wärmeschuh. Von diesen Verstecken sah man nur seinen Kopf, den er hinaus steckte um zu inspizieren, was jetzt wohl käme: Fütterung oder Sport? Heraus kam er aus der Baumrindenhöhle, wenn man hinklopfte. Dann war unbedingt Kraulen angesagt.

Spielwiese
Die gesamte Spielwiese
Rampe
Nest mit Rampe
Lappenhöhle
die Lappenhöhle
Belohnung
Nach dem Sport will ich meine Kraulbelohnung
12.8. 53 frisst noch weniger; Umzug von Aquarium zur Wäschebox; Laufbereich wird von ihm bevorzugt! Wählt sich nach Gewöhnung an Wäschekorb auf der Spielwiese selbst Lieblingsplatz aus!
13.8. 49 1Laus + 1Milbe gesichtet 37g 6.00 Uhr Flattern; sucht nach Fütterung Höhle unter Wurzel auf; genießt Sonne am Fenster; Flügellänge 16cm; 21.30Uhr Flattern im Wäschekorb, klettert Netzgewebe hoch; danach wieder heftiges Flattern mit Hochkrabbeln bis zum Rand (55cm); ich öffne den Korb; nun flattert er in den Raum, fliegt 10-15cm über dem Boden ,kreuz und quer durchs Zimmer, auch in der Diele, landet immer nach 2-3m mit ausgebreiteten Flügeln; ich nehme ihn hoch auf die Hand und lasse ihn von dort aus starten bis er müde wird (10min.) und sich in der Hand beruhigt.
14.8. 29 1 Laus liegt nach Fütterung (7.00) ruhig oder sich putzend auf dem Nest; verfolgt vom Fensterbrett sehr interessiert das Geschehen draußen; geht mit d. Körper mit, als wolle er fliegen; flattert um 19.00, hebt aber nicht ab!
Schnäbelchen Schnäbelchen
15.8. 32 1Spinn- milbe? Nach 1/2 Std. Kuscheln frisst er wie gewohnt; flattert anhaltend 8.00; kein Flug; im Augenwinkel ein Tier entfernt; sitzt in der Sonne, verfolgt aufgeregt Vögel; sieht Helikopter à wird vor Aufregung dünn und lang.
16.8. 36 3Läuse? 1 wird entfernt lag am Morgen neben dem Wäschekorb; wahrscheinlich in der Nacht hochgeklettert und unter der Abdeckung durchgeschlüpft sein; ich nehme ihn hoch, er fliegt aus meiner Hand, kommt aber nicht weit; flattert 21.15 im WK, klettert hoch, fliegt zu Boden, flattert wieder, im Wohnzimmer und Diele, 20cm über dem Boden, fliegt dann zu Kissen , die überall herumliegen, hat aber noch nicht Kraft für Rundflug
17.8. 6 große greift halbherzig nach Futter, spuckt wieder aus, nach 9.00 verweigert er Futter; fliegt vom hochgehaltenen Körbchen 3x auf seinen Platz, direkt unter seinem Kuscheleck, dann von Hand aus in versch. Richtungen(Stuhlhöhe), krallt sich zunehmend beim Landen an Wolldecke fest, die über Stuhllehne ausgebreitet ist oder auch an Tischdecke, an meiner Hose, dreht kleine Kurven, danach ist er geschafft.

Donnerstag, der 17. August, der Tag in die Freiheit

Schlafen
Ich bin kaputt und muss schlafen

Um 9.30 rufe ich bei A. Wills an; wir planen wegen des schönen Wetters einen Startversuch. 10.50 Eintreffen an der HHGS, Schnäbelchen ist wegen des Transportes im Auto sehr ruhig, fast lethargisch, verweigert Nahrung! Ich transportiere ihn in seinem Körbchen mit dem gewohnten Waschlappen zugedeckt zum Sportplatz. Auf halbem Weg decke ich ihn ab. Der Vogel spürt Wind und Wärme und wird schlagartig sehr, sehr unruhig. Ich kann ihn kaum noch bändigen, er will durch meine Finger schlüpfen. Am Sportplatz hebe ich ihn auf meiner Hand hoch; Schnäbelchen schaut verdutzt umher, geht etwas nach hinten, lässt ein Batzerl ins Gras fallen, schaut und startet plötzlich; er flattert erst abwärts, fängt sich und fliegt südwärts etwa in Zaunhöhe auf Grenzmauer und Zaun von Lidl und Landratsamt. Wills Junior glaubt ihn noch durch die Kamera über den Zaun fliegend gesehen zu haben. Wir starten dorthin, Schlimmes befürchtend. Doch plötzlich entdecken wir einen Mauersegler von Süden her auf den Sportplatz zu fliegend. Da vorher weit und breit kein Vogel zu sehen war, muss es - auch wegen des zierlichen Wuchses und aufgeregten Flügelschlag- Schnäbelchen gewesen sein. Er dreht ab, verschwindet hinter den Bäumen, kommt noch 2-3 Mal wieder, nun schon etwas segelnd. Als Schnäbelchen zum letzten Mal auftaucht, hat er Dank guter Thermik erstaunlich an Höhe gewonnen, fliegt westwärts und entschwindet unseren Blicken.

in der Schule
Warum bin ich heute in der Schule?
letzter Happen
Ein letzter Fütterungsversuch
Kraulen
Ein letztes Kraulen
Abflug
Viel Glück Schnäbelchen!

Freitag, der 18.August,ein Tag nach der Freilassung

Nach leichtem Regenschauer, gegen 11.30, klart es auf, das Wetter wird herrlich. Ich inspiziere noch einmal die Stelle, an der Schnäbelchen wohl über den Zaun geflogen ist von der Altmühlstraße aus: Schwierig, schwierig! Denn dort finden sich Gebüsch, hohe Bäume, Hausmauern, also kein leichtes Gelände für den ersten Flug! Ca. 15 Schwalben fliegen um das letzte Hochhaus in der Altmühlstraße und über den Sportplatz. Da sehe ich einen einzelnen Mauersegler über meinem Kopf in Richtung letztes Hochhaus fliegen und beobachte, wie er es überquert, geschickt segelnd. Ist es Schnäbelchen?

Samstag, der 19.August, ein Wiedersehen?

Um 19.45 warte ich an der HHGS- Schulampel auf grün. Da fliegt vor mir ein Mauersegler über der Isarstraße ostwärts, dreht nach links ab und verschwindet zwischen den Häusern. Ich biege rechts ab und halte ungefähr fünf Minuten vom Troidl- Parkplatz aus Ausschau nach Schwalben und Mauerseglern. Da kommt von der Hl.Geist- Kirche her, ziemlich hoch fliegend, ein einzelner Mauersegler und steuert auf das Schulgebäude zu. Wieder frage ich mich: Könnte das "mein" Schnäbelchen" sein?

Nachts gibt es ein heftiges Gewitter und es kühlt stark ab.

Sonntag, der 20.August

Am nächsten Tag sind weder Schwalben noch ein Mauersegler zu sehen am Schulgelände oder in der Umgebung der HHGS. Das Himmel ist zwar wolkig und die Temperatur etwas kühler, jedoch zeigen sich einzelne Aufklärungen gegen Norden zu.

Die Mauerseglersaison HHGS 2006 ist - wie Frau Wills so schön sagt - erfolgreich für dieses Jahr abgeschlossen mit

Stand: 07.03.2010 13:50
Mauersegler